27 April 2020

Strukturwandel statt Erhalt. Das Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung





Ein optimistischer Ausblick des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam. Es weist nach, dass vergangene Krisen immer wieder Verbesserungen der Umweltsituation mit sich gebracht haben.

Während der Krisen sanken die Emissionen, stiegen aber nicht in gleichem Maße an, nachdem sich die Wirtschaft wieder erholt hatte. Der Grund ist darin zu suchen, dass ineffektive Industrien nicht überlebten und der Wiederaufbau mit einer Modernisierung und einem Strukturwandel einherging.
Darin ist die Chance zu sehen, die auch in der auf uns zukommenden schweren Wirtschaftskrise liegt.

Videokonferenzen statt ständige Kurzflüge könnten weiterhin genutzt werden. Aus Kostengründen und weil man sich einfach daran gewöhnt hat.

Viele Kohlesektoren hatten bereits vor Corona zu kämpfen, und Kohlekraftwerke werden bei Nachfragerückgang oft als erste abgeschaltet. Wind- und Solarenergie sind bereits jetzt die kostengünstigsten Kilowattstunden und ohne gezielte Förderung der Kohlekraft werden sie die Lücke schließen. Der Verzicht auf klimapolitische Maßnahmen zur Einsparung von Kohle, wie einige vorgeschlagen haben, ist daher nicht nur kontraproduktiv, sondern sinnlos. Der Kohlesektor ist bereits im Niedergang begriffen und jede Unterstützung für den Aufschwung wird seinen endgültigen Untergang nur hinausschieben.

Mit engagierten politischen Maßnahmen können Konjunkturfonds eine entscheidende Rolle spielen, um Wachstum und grüne Transformation zu verbinden. Die E-Mobilität ist aus ökologischer Sicht ein offensichtlicher Kandidat dafür. Auch werden öffentliche Investitionen in umweltfreundliche Infrastruktur wie Eisenbahnen, sowohl Nah- als auch Fernverkehrs-Hochgeschwindigkeitsverbindungen Wachstum bringen und gleichzeitig unsere Verkehrsprobleme lösen.

Auf lokaler Ebene sind öffentliche Investitionen für den Umbau unserer Städte zu menschenfreundlicheren, grüneren Orten eine weitere Option.

Die Gesellschafts- und Wirtschaftskrise wird hart sein. Aber es gibt echte Chancen für einen grünen Aufschwung, wenn der Strukturwandel und nicht der Erhalt das Leitprinzip unseres Handelns ist.
Lesen Sie hier den ganzen Artikel

Karl Wagner

25 April 2020

Wir müssen kämpfen.


Die Coronakrise hat ein Gutes, höre ich. Sie zwingt uns zum nachdenken über Globalisierung, über Solidarität, über Genügsamkeit, über ein anderes Wachstum. Über unsere Verletzlichkeit. Dabei fallen starke Worte.
  • Wir müssen für eine lebenswerte Zukunft kämpfen.
  • Wir müssen für die sozial Schwachen kämpfen.
  • Wir müssen für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche kämpfen.
  • Wir müssen für die Ökologisierung der Wirtschaft kämpfen.
  • Wir müssen für den Erhalt der Menschenrechte kämpfen.
  • Wir müssen für die regionale Wirtschaft kämpfen und sie stärken.
  • Wir müssen gegen ungebremste Globalisierung, gegen Hungerlöhne in Drittweltländern kämpfen.

 Merkt ihr was? Das Wort „kämpfen“ häuft sich. Und alle verwenden es. Nicht nur Politikerinnen und Politiker. Und dann noch: „Wir müssen“. Wenn wir das also alles müssen, dann freue ich mich auf die vielen Mitstreiterinnen und Mitstreiter, 
  • wenn es darum geht, für bessere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen der Pflegerinnen und Pfleger auf die Straße zu gehen.
  • Oder wenn es darum geht, die eigene Bequemlichkeit zu überwinden und nicht mehr bei Amazon, sondern beim Geschäft in der nächsten Ortschaft oder sogar ums Eck einzukaufen.
  • Oder wenn es für die, die es sich leisten können darum geht, die Bahn zu benutzen, auch wenn sie derzeit noch teurer als das Auto ist.
  • Oder wenn es darum geht, den Fleischkonsum zu halbieren, um damit das himmelschreiende Leid, das unsere Ernährungsgewohnheiten über Mensch und Tier bringen, zu beenden.
  • Oder wenn es darum geht, Vorurteile gegen Junge, gegen Alte, gegen Ausländer, gegen Briten, gegen Moslems, gegen Katholiken, gegen Linke, gegen Reche, gegen Wissenschaftler, gegen Politiker, gegen Grüne, gegen Afrikaner, gegen Radfahrer, gegen Homöopathen u.v.m. zu korrigieren.
  • Oder wenn.es darum geht, Politiker abzuwählen, die all das verhindern wollen. 
  • Oder wenn...

Wenn wir da überall viele sind – ja dann…

23 April 2020

Geöffnete Spielplätze - Vösendorf hat sie, Wiener Neudorf hat sie - und Biedermannsdorf?


Kinder sind mehr als Virenschleudern, vor denen man sich in Acht nehmen muss. Sie sind Menschen.
Das las ich heute in "Der Zeit". Ich bin sehr dankbar, auf diesen Satz gestoßen zu sein, denn manchmal bedarf es einfach  nur der richtigen Worte, um Gewissheiten wachzurufen.

Kinder sind mehr als Virenschleudern. Ja natürlich! Verdienstentgang, Konkurse, Kurzarbeit, Eingesperrtsein, Diskriminierung der Alten, Maskenzwang, Lernen aus Corona, Wirtschaftskrise, Coronakrise, Virulogen, Epidemiologen. All das prasselt auf uns nieder wie Naturgewalten und wird unaufhörlich reflektiert. Von Politikern, von den Medien, von uns allen. Aber halt! Da ist doch noch jemand! Jemand, der keine Lobby hat außer seine liebenden Eltern, jemand, der traurig ist ohne Umarmungen anderer Kinder, der Sehnsucht hat nach dem gemeinsamen Lachen, dem Spielen, dem Tollen im Garten, den Streicheleinheiten der geliebten "Kindergartentante" beim Mittagsschlaf.

Wissen wir eigentlich, was wir den Kindern da antun? Ich bin kein Psychologe aber ich erinnere mich an meine eigene Kindergartenzeit. Sie war so schön, dass sie in meiner Erinnerung immer noch wach ist.

Eine Gemeinde hat keinen Einfluss darauf, ob Kindergärten geöffnet werden oder nicht. Aber die Spielplätze sollten wenigstens wieder zur Verfügung stehen. Was erlaubt ist, muss ohne Verzögerung geöffnet werden. Zum Wohle unserer Kinder.

21 April 2020

Diese Krise ist ein Tor zwischen einer Welt und der nächsten.



Kürzlich äußerte Gemeindebundpräsident Alfred Riedl in einem Interview die Befürchtung, dass die derzeitigen wirtschaftlichen Probleme auch auf die Gemeinden durchschlagen werden. Womit er wohl Recht hat. Für Biedermannsdorf macht die von den Betrieben zu entrichtende Kommunalsteuer den weitaus überwiegenden Teil des Budgets aus. In der Kommunalsteuer liegt der Hauptgrund für den Reichtum der Gemeinden im Industrieviertel Niederösterreichs. Bleibt sie aus, bedeutet das schwere Beben für die Finanzlandschaft. Viele Betriebe haben Kurzarbeit oder sind mangels Aufträge überhaupt stillgelegt. Dass da um Stundung der Gemeindeabgaben ersucht wird, scheint nur eine Frage der Zeit zu sein. Zu Recht befürchtet der Gemeindebundpräsident, dass es viele Gemeinden nicht schaffen werden, ohne Hilfe die daraus entstehenden Herausforderungen zu bewältigen. Er wird diesbezüglich, wie er sagt, beim Finanzminister vorstellig werden.

Es ist anzunehmen, dass von dort tatsächlich Hilfe für besondere Härtefälle kommen wird. So, wie auch anzunehmen ist, dass von der Europäischen Union Mittel für die Mitgliedsländer bereitgestellt wird. Wobei zu hoffen ist, dass die Hilfe für die Wirtschaft nicht die Hilfe für den Klimaschutz aussticht. Denn – wie auch unsere Umweltministerin Leonore Gewessler ausführte: Klimaschutz schafft Arbeitsplätze und ist das beste Konjunkturpaket, weil es gleichzeitig den Weg für einen zukunftsfähigen Planeten zeichnet."

Auf jeden Fall wird Zusammenhalt und gegenseitige Hilfe, wie das derzeit zwischenmenschlich praktiziert wird, auch für die Gemeinden untereinander, für die Länder und für die Staaten Europas der einzig mögliche Weg sein. Denn wieder einmal – wie wir das schon aus der Klimakrise kennen – wird die Lösung nur gemeinsam zu finden sein. Nicht Biedermannsdorf, nicht Österreich, sondern die EU als Einheit.

„Für die Europäische Union wird diese Krise“, so Josep Borell, der Außenbeauftragte der EU, „eine existentielle Bewährungsprobe sein. Sie wird entscheiden, für wie nützlich die Menschen die EU halten.“ Wird diese Krise in eine Krise der EU münden, so wird sich auch das – wie die Coronakrise oder die Klimakrise auf die Gemeinden auswirken.

Laut Werner Wintersteiner, dem Gründer und langjährigen Leiter des Zentrums für Friedensforschung und Friedensbildung an der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt sollte eine Konsequenz dieser Zeit sein, das Gesundheitssystem auf eine europäische Ebene zu heben. „Hätten wir das jetzt, würde niemand sagen: Als Erstes müssen wir die Grenzen schließen – aber die Pandemie folgt dieser Logik nicht. Durch diesen Nationalismus wird sinnvolles Handeln verhindert“. Daher solle man in der EU nicht nur die Gurkenkrümmung regeln.

Ich finde, er hat Recht. Wie immer brauchen wir nicht weniger, sondern mehr EU. Aber eine EU für die Menschen.

Und wenn Josep Borell meint, anstatt nur mit Zahlen zu argumentieren, müsse man die Herzen der Menschen erreichen, kann ich mir vorstellen, dass er dieses Statement der indischen Schriftstellerin Arundhati Roy ganz gut findet:

„Diese Pandemie ist ein Portal, ein Tor zwischen einer Welt und der nächsten. Wir können uns entscheiden, hindurchzugehen und dabei die Kadaver unserer Vorurteile und unseres Hasses hinter uns herzuschleppen, unsere Habgier, unsere Datenbanken und toten Ideen, unsere toten Flüsse und verqualmten Himmel. Oder wir können leichten Schrittes hindurchgehen, mit wenig Gepäck, bereit dazu, uns eine andere Welt vorzustellen. Und bereit, für sie zu kämpfen.“

Karl Wagner

18 April 2020

Ein neuer Aufbruch im Sinne des European Green Deals.


180 Firmenchefs, Politiker und Organisationen unterzeichneten diese Woche die Green Recovery Alliance. Gefordert wird mittels offenem Brief ein Wiederaufbau nach der Corona Krise im Sinne des European Green Deals.

Seitens Regierungsseite unterstützen diesen offenen Brief die Länder Italien, Frankreich, Luxemburg, Portugal, Österreich, Dänemark, Schweden, Finnland, Spanien und Deutschland.

Umweltministerin Leonore Gewessler im Interview mit den Salzburger Nachrichten am 18. April: "Klimaschutz wird der beste Weg aus der Krise sein. Durch die Coronakrise sind 600.000 Menschen in Österreich arbeitslos, mehr als 600.000 in Kurzarbeit. Klimaschutz schafft Arbeitsplätze und ist das beste Konjunkturpaket, weil es gleichzeitig den Weg für einen zukunftsfähigen Planeten zeichnet. Das ist jetzt wichtiger als je zuvor."

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bekräftigte das dieser Tage: Der Wiederaufbau nach Corona muss den Zielen des Green Deals entsprechen.

Ein starkes Zeichen, dass Politik und Wirtschaft am gleichen Strang zu ziehen beginnen. Es ist zu hoffen, dass die Gegenkräfte aus deutscher Autolobby und einigen Osteuropäischen Staaten überwunden werden können.

Hier ein Auszug des Dokuments:

Wir rufen ein globales Bündnis von parteiübergreifenden politischen Entscheidungsträgern, Wirtschafts- und Finanzführern, Gewerkschaften, NGOs, Think-Tankern und Interessenvertretern auf, die Einrichtung von Green Recovery-Investitionspaketen zu unterstützen und umzusetzen. Diese sollen als Beschleuniger des Übergangs zu Klimaneutralität und zu gesunden Ökosystemen fungieren. Wir verpflichten uns daher zur Zusammenarbeit, zur gemeinsamen Nutzung von Wissen, zum Austausch von Fachwissen und zur Schaffung von Synergien, um die von uns benötigten Investitionsentscheidungen zu treffen.

Lesen Sie hier das Gesamtdokument (englisch).

Karl Wagner




09 April 2020

Ostern ist nichts für den Verstand.


Es war Ostern 2016, als mir dieser Artikel in den Salzburger Nachrichten in die Hände fiel. Vier Jahre danach hat er nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Denn die Flüchtlingskrise gibt es noch immer, wenn auch nicht an unserer Grenze oder in unserem Land. 
Das Lebendige reißt Zäune auf
Ostern ist nichts für die Statistik und den Verstand. Es ist die jedes Jahr neue Geschichte, dass kein Mensch für immer verloren ist.
Unsere Epoche ist vom Fetisch der Zahlen geprägt. Weil wir nicht mehr wissen, was wir glauben und woran wir uns halten können, halten wir uns an Zahlen. Obergrenzen zum Beispiel, mit denen die Politik uns einzureden versucht, dass sie eine Situation im Griff habe. Oder Umfragen, aus denen wir gern die Bestätigung beziehen, dass wir auf der richtigen Seite stehen, auf jener der Mehrheit. Oder Statistiken, die uns weismachen wollen, um wie viel Prozent unsere Lebenserwartung steigt oder unser Krebsrisiko sinkt, wenn wir nur das Richtige essen.
Wir klammern uns an ein mechanistisches Weltbild. Eines, das so funktioniert wie die Technik (wenn sie denn funktioniert): Da greift ein Rädchen wundersam in das andere, und wenn wir an den richtigen drehen, wird am Ende alles gut.
Aber Leben funktioniert genau nicht so. Schon die Jüngerinnen und Jünger des Jesus von Nazareth mussten einsehen, dass all ihr Kalkül ein Trugschluss war. Ihr Lehrer hat die Römer nicht aus dem Land gejagt und keine neue Herrschaft errichtet, unter der seine Getreuen die ersten Ränge besetzen sollten. Am Ende war der Karfreitag. Die Männer, die bis zuletzt große Sprüche geführt hatten, suchten das Weite und verriegelten die Türen. Nur ein paar Frauen harrten aus.
Mit dem Tod Jesu hat sich das Leben der Seinen so dramatisch zugespitzt, wie wir es auch heute empfinden - vom Stellvertreterkrieg in Syrien, in dem Terrorbanden und Großmächte ein Land in Geiselhaft nehmen, über die 300 Kinder, die seit dem Herbst im Mittelmeer ertrunken sind, bis zu den Terroranschlägen vom 13. November 2015 in Paris und 22. März 2016 in Brüssel.
In solcher Bedrängnis scheiden sich die Geister. Die einen geraten in Panik und verbarrikadieren sich. Die anderen bleiben in der Spur. Sie geben den Anspruch an sich selbst und an ihre Mitwelt nicht auf, dass ein menschlicher, ein zivilisierter und - man darf das Wort in diesem Zusammenhang ruhig in den Mund nehmen - ein barmherziger Umgang miteinander möglich ist.

Menschen, die nicht ermüden
Bei allem Irrwitz tröstet der Gedanke, dass es bis heute diese vielen solidarischen Menschen gibt, die nicht ermüden. Sie fürchten sich nicht vor "den Massen" und lassen sich nicht durch Horrorstatistiken verschrecken. Sie wissen, dass das Leben seinen eigenen Gesetzen folgt, die wir gottlob nicht vollständig unter Kontrolle haben.
Tatsachen - tot ist tot -, Statistiken - aus dem Grab ist noch keiner auferstanden -, nackte Zahlen - wir sind viel zu wenige, um eine Wende herbeizuführen - helfen nicht weiter, um eine aussichtslos erscheinende Situation zu bewältigen. Wer an dieser Oberfläche hängen bleibt, dringt nicht in die Tiefenschichten des Lebendigen vor. Das Überraschende bleibt ihm verborgen, weil er kein Auge, kein Ohr und vor allem kein Herz dafür hat.
Vielleicht ist das der Zuspruch von Ostern 2016: Wir müssen uns nicht irremachen lassen von all den Daten und Fakten, die auf uns einstürmen. Sie müssen oft genug nur dafür herhalten, den schnellen Totschlagargumenten das statistische Unterfutter zu liefern. Sogar die Naturwissenschaften sagen uns, dass das Lebendige sich nicht auf kalte Zahlenreihen und Algorithmen reduzieren lässt. Das bezeugen selbst die kühnsten Genetiker, die Gene am liebsten wie ein Räderwerk manipulieren. Sie sind extrem vorsichtig, wenn es um einen direkten Eingriff in Keimzellen des Lebens geht. Sie wissen, dass jedes Hantieren am Erbgut - auch wenn es zielgenau nur eine Krankheit verhindern soll - unabsehbare Folgen haben kann.
Oft genug ist die Wirklichkeit nur das, was wir uns als solche zurechtzimmern. Aus der Sicht der Jünger Jesu war am Karfreitag alles aus. Aus der Sicht der Frauen dagegen ist das Leben weitergegangen. Nicht, weil sie genau gewusst hätten, was sie am Grab erwarten würde, sondern weil sie sich durch die erdrückende Faktenlage nicht haben entmutigen und ins Bockshorn jagen lassen.
Das Lebendige ist mehr als die Summe seiner biochemischen Teilchen. Es lässt sich durch keine Wahrscheinlichkeitsrechnung einfangen. Es untergräbt Barrieren und reißt Zäune auf. Daher fangen Menschen, deren Leben schon verloren schien, mit dem Mut der Verzweiflung jeden Tag neu an, zu glauben, zu hoffen und zu lieben.
Ostern ist nichts für den Verstand. Es ist das Frühlingsfest des Wachsens und Gedeihens. Jedes Jahr bricht sich das Leben neu seine Bahn. Das kann weder Grabstein noch Stacheldraht verhindern.



05 April 2020

Zur Abwechslung mal die Klimakrise


Ich weise bescheiden darauf hin, dass die Klimakrise unverschämter weise nicht Pause macht, weil wir grad keine Zeit für sie haben. Ja, sie lässt jetzt nach, weil der Konsum nachlässt. Aber sie wird fast schlagartig wieder da sein, wenn der Konsum wieder auflebt. Der Zusammenhang zwischen Klima und menschlichem Handeln tritt jetzt deutlich zu Tage. Und es wird wieder das große Jammern anheben, dass dieses nicht möglich ist wegen der Wirtschaft und jenes nicht möglich ist wegen der Arbeitsplätze und überhaupt alles unmöglich ist. Das Klima wird das nicht weiter kümmern. Steigt es eben bis zu 5 Grad. Sind eben die Stürme stärker, versinken eben Großstädte, versteppt eben Ostösterreich, wird eben Südeuropa unbewohnbar. Na und? Dem Klima kümmerts nicht. Wenns uns nicht kümmert…

Doch halt – sind die notwendigen Maßnahmen wirklich so schrecklich? Gehen wir zugrunde, wenn wir sie ergreifen? Oder könne es uns – ganz abgesehen vom Klima – nicht sogar besser gehen als je zuvor? Sind die Warner vor den angeblich schädlichen Folgen der Klimaschutzmaßnahmen nicht dieselben, die zusehends unsere Welt gegen die Wand fahren?

Was ist falsch daran, wenn wir damit aufhören, Öl zu importieren und stattdessen die Energie im eigenen Land oder zumindest in Europa aus Sonne, Wind und Wasser gewinnen?
Würde es keine ölbasierte Energie mehr geben, wären erstmal die meisten Kriege mit all ihren langfristigen Folgen wie Flüchtlingsdramen, Hunger und Krankheit obsolet. Auch der große Krieg, den die Ölindustrie schon seit Jahrzehnten gegen die Umwelt führt. Deepwater Horizon und Exxon Valdez sind Höhepunkte vieler verheerender Katastrophen, von denen sich die Umwelt bis heute nicht erholt hat. Die Existenzen, die damals vernichtet wurden, sind bis heute nicht wieder hergestellt. Auch, wenn niemand mehr darüber spricht. Shell vernichtet seit vielen Jahren das Land am Nigerdelta mit seiner „normalen“ Arbeit, auch ohne Havarien. Längst wurden alle Kleinbauern von dort vertrieben, ihr Land geraubt. Wie viele von ihnen zu Boko-Haram übergelaufen sind, ist eine Dunkelziffer. Gerade jetzt müssen die Indigenen Kanadas um ihr Land kämpfen, weil eine Erdölpipeline durch ihren Besitz führen soll. Der Ausgang ist ungewiss.

Was ist falsch daran, weniger Fleisch zu essen, dadurch geistig und körperlich gesünder zu werden und damit etwas für die Würde und das gute Leben der Tiere zu tun?
Auf zwei Drittel der weltweiten Getreideflächen müssen Futtermittel angebaut werden. Dazu kommen industrielle Tierhaltung und Tiertransporte. Das Corona-Virus entstand nach letzten Erkenntnissen in einem Wildtiermarkt in Asien. Wer diese Märkte schon einmal gesehen hat, der weiß, welche Qualen die Tiere dort aushalten müssen. Für die italienische Virologin Ilaria Capua steht außer Frage, dass das Virus aus dem Reich der Wildtiere entwachsen ist. „Wir müssen uns bewusst sein, dass wir Teil des Problems sind, weil wir es waren, die diese Situation geschaffen haben.“ Und der Naturforscher Johannes Vogel sagt dazu: „Die Pandemie ist ein spürbarer Ausdruck dafür, dass alles, was wir Menschen tun, zu uns zurückkommt.“

Was ist falsch daran, Arbeitsplätze im Bahnbau zu schaffen um damit möglichst vielen Menschen die Annehmlichkeiten des lautlosen Dahingleitens in einem komfortabel eingerichteten Waggon zu ermöglichen?
Bis vor einigen Jahren war ich es gewohnt, per Auto meine bayrischen Verwandten zu besuchen. Als ich dann auf die Bahn umgestiegen war, empfand ich die Fahrt fast paradiesisch. Draußen glitt die Landschaft vorbei. Ich lehnte mich zurück, las mal ein Buch, mal checkte ich meine Mails, dann ging ich auf einen Kaffee in den Speisewagen, es war einfach schön. Vor allem, wenn wir an einer Autobahn vorbei kamen und ich den Stau bewundern durfte. Und ich konnte mit meiner Frau plaudern, ohne angestrengt in den Rückspielgel zu schauen, weil ich überholen wollte oder zu fluchen, weil mir hinten einer aufrückte.

Was ist falsch daran, die dem Menschen innewohnende Neugier zu nutzen und sich anderen Lebensarten zu öffnen als der sattsam bekannten Konsumtristesse?
Glück – was ist das? Wenn ich in die Gesichter der meisten Menschen in den Einkaufstempeln sehe, weiß ich, was es nicht ist: Einkaufen. Wie lange hält die Freude über ein billiges T-Shirt an? Zehn Minuten? Eine halbe Stunde? Oder sogar einen halben Tag? Ein schwaches Glücksmittel dafür, dass mit der wasserintensiven Produktion von Baumwolle große Landstriche versteppen und 25 % aller Pestizide auf Baumwollplantagen eingesetzt werden. Weitere Beispiele des „segensreichen“ Wirkens des Gottes Konsum gibt es zu Hauf. Machen wir doch die Augen auf und öffnen wir uns dem Leben außerhalb des Konsums. Schaun wir uns um. Heben wir den Kopf von unseren Wegwerfhandys und nehmen wir die Wirklichkeit wahr. Da gibt es Menschen, da gibt es Wälder, da gibt es Anerkennung, da gibt es Gespräche, da gibt es Fürsorge, da gibt es Tiere, da gibt es….

Was ist falsch daran, die jetzt praktizierte Achtsamkeit beizubehalten und weiterhin aufeinander zu schauen?
Die jetzt praktizierte Achtsamkeit darf ich gerade selbst erfahren. Wir in meinem Umkreis achten auf uns. Wir nehmen Anteil. Wir fragen einander, wie es uns geht. Wir lächeln uns an, wenn wir uns begegnen. Warum? Weil wir plötzlich Zeit haben. Ich bin mir bewusst, dass es andererseits jetzt auch viel Zukunftsangst gibt. Auch Unmut. Es beginnen die ersten Zwistigkeiten. Immerhin gehen wir jetzt in die vierte Woche dieser Sondersituation. Aber wichtig wird sein, was wir uns mitnehmen in die Zeit danach. Das alles darf nicht umsonst passiert sein.

Ach ja – die Klimakrise. Die werden wir in den Griff kriegen. Wenn wir das Richtige mitnehmen.

Karl Wagner


Umweltbericht 2024

Der heurige Umweltbericht befasst sich intensiv mit der neuen niederösterreichischen Raumordnung und der dazugehörigen Strategischen Umweltp...