Ich weise bescheiden darauf hin, dass die Klimakrise unverschämter weise nicht Pause macht, weil wir grad keine Zeit für sie haben. Ja, sie lässt jetzt nach, weil der Konsum nachlässt. Aber sie wird fast schlagartig wieder da sein, wenn der Konsum wieder auflebt. Der Zusammenhang zwischen Klima und menschlichem Handeln tritt jetzt deutlich zu Tage. Und es wird wieder das große Jammern anheben, dass dieses nicht möglich ist wegen der Wirtschaft und jenes nicht möglich ist wegen der Arbeitsplätze und überhaupt alles unmöglich ist. Das Klima wird das nicht weiter kümmern. Steigt es eben bis zu 5 Grad. Sind eben die Stürme stärker, versinken eben Großstädte, versteppt eben Ostösterreich, wird eben Südeuropa unbewohnbar. Na und? Dem Klima kümmerts nicht. Wenns uns nicht kümmert…
Doch halt – sind die notwendigen Maßnahmen
wirklich so schrecklich? Gehen wir zugrunde, wenn wir sie ergreifen? Oder könne
es uns – ganz abgesehen vom Klima – nicht sogar besser gehen als je zuvor? Sind die Warner vor den angeblich schädlichen Folgen der Klimaschutzmaßnahmen nicht dieselben, die zusehends unsere Welt gegen die Wand fahren?
Was ist falsch daran, wenn wir damit aufhören,
Öl zu importieren und stattdessen die Energie im eigenen Land oder zumindest in
Europa aus Sonne, Wind und Wasser gewinnen?
Würde es keine
ölbasierte Energie mehr geben, wären erstmal die meisten Kriege mit all ihren
langfristigen Folgen wie Flüchtlingsdramen, Hunger und Krankheit obsolet. Auch der große Krieg, den die Ölindustrie schon
seit Jahrzehnten gegen die Umwelt führt. Deepwater Horizon und Exxon Valdez
sind Höhepunkte vieler verheerender Katastrophen, von denen sich die Umwelt bis
heute nicht erholt hat. Die Existenzen, die damals vernichtet wurden, sind bis
heute nicht wieder hergestellt. Auch, wenn niemand mehr darüber spricht. Shell
vernichtet seit vielen Jahren das Land am Nigerdelta mit seiner „normalen“
Arbeit, auch ohne Havarien. Längst wurden alle Kleinbauern von dort vertrieben,
ihr Land geraubt. Wie viele von ihnen zu Boko-Haram übergelaufen sind, ist eine
Dunkelziffer. Gerade jetzt müssen die Indigenen Kanadas um ihr Land kämpfen,
weil eine Erdölpipeline durch ihren Besitz führen soll. Der Ausgang ist
ungewiss.
Was ist falsch daran, weniger Fleisch zu
essen, dadurch geistig und körperlich gesünder zu werden und damit etwas für
die Würde und das gute Leben der Tiere zu tun?
Auf zwei Drittel der
weltweiten Getreideflächen müssen Futtermittel angebaut werden. Dazu kommen
industrielle Tierhaltung und Tiertransporte. Das Corona-Virus entstand nach
letzten Erkenntnissen in einem Wildtiermarkt in Asien. Wer diese Märkte schon
einmal gesehen hat, der weiß, welche Qualen die Tiere dort aushalten müssen.
Für die italienische Virologin Ilaria Capua steht außer Frage, dass das Virus
aus dem Reich der Wildtiere entwachsen ist. „Wir müssen uns bewusst sein, dass
wir Teil des Problems sind, weil wir es waren, die diese Situation geschaffen
haben.“ Und der Naturforscher Johannes Vogel sagt dazu: „Die Pandemie ist ein
spürbarer Ausdruck dafür, dass alles, was wir Menschen tun, zu uns
zurückkommt.“
Was ist falsch daran, Arbeitsplätze im Bahnbau
zu schaffen um damit möglichst vielen Menschen die Annehmlichkeiten des
lautlosen Dahingleitens in einem komfortabel eingerichteten Waggon zu
ermöglichen?
Bis vor einigen
Jahren war ich es gewohnt, per Auto meine bayrischen Verwandten zu besuchen.
Als ich dann auf die Bahn umgestiegen war, empfand ich die Fahrt fast
paradiesisch. Draußen glitt die Landschaft vorbei. Ich lehnte mich zurück, las
mal ein Buch, mal checkte ich meine Mails, dann ging ich auf einen Kaffee in
den Speisewagen, es war einfach schön. Vor allem, wenn wir an einer Autobahn
vorbei kamen und ich den Stau bewundern durfte. Und ich konnte mit meiner Frau
plaudern, ohne angestrengt in den Rückspielgel zu schauen, weil ich überholen
wollte oder zu fluchen, weil mir hinten einer aufrückte.
Was ist falsch daran, die dem Menschen
innewohnende Neugier zu nutzen und sich anderen Lebensarten zu öffnen als der
sattsam bekannten Konsumtristesse?
Glück – was ist das?
Wenn ich in die Gesichter der meisten Menschen in den Einkaufstempeln sehe,
weiß ich, was es nicht ist: Einkaufen. Wie lange hält die Freude über ein
billiges T-Shirt an? Zehn Minuten? Eine halbe Stunde? Oder sogar einen halben
Tag? Ein schwaches Glücksmittel dafür, dass mit der wasserintensiven Produktion
von Baumwolle große Landstriche versteppen und 25 % aller Pestizide auf
Baumwollplantagen eingesetzt werden. Weitere Beispiele des „segensreichen“
Wirkens des Gottes Konsum gibt es zu Hauf. Machen wir doch die Augen auf und
öffnen wir uns dem Leben außerhalb des Konsums. Schaun wir uns um. Heben wir
den Kopf von unseren Wegwerfhandys und nehmen wir die Wirklichkeit wahr. Da
gibt es Menschen, da gibt es Wälder, da gibt es Anerkennung, da gibt es
Gespräche, da gibt es Fürsorge, da gibt es Tiere, da gibt es….
Was ist falsch daran, die jetzt praktizierte
Achtsamkeit beizubehalten und weiterhin aufeinander zu schauen?
Die jetzt
praktizierte Achtsamkeit darf ich gerade selbst erfahren. Wir in meinem Umkreis
achten auf uns. Wir nehmen Anteil. Wir fragen einander, wie es uns geht. Wir
lächeln uns an, wenn wir uns begegnen. Warum? Weil wir plötzlich Zeit haben.
Ich bin mir bewusst, dass es andererseits jetzt auch viel Zukunftsangst gibt.
Auch Unmut. Es beginnen die ersten Zwistigkeiten. Immerhin gehen wir jetzt in
die vierte Woche dieser Sondersituation. Aber wichtig wird sein, was wir uns
mitnehmen in die Zeit danach. Das alles darf nicht umsonst passiert sein.
Ach ja – die Klimakrise. Die werden wir in den
Griff kriegen. Wenn wir das Richtige mitnehmen.
Karl Wagner
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