05 April 2020

Zur Abwechslung mal die Klimakrise


Ich weise bescheiden darauf hin, dass die Klimakrise unverschämter weise nicht Pause macht, weil wir grad keine Zeit für sie haben. Ja, sie lässt jetzt nach, weil der Konsum nachlässt. Aber sie wird fast schlagartig wieder da sein, wenn der Konsum wieder auflebt. Der Zusammenhang zwischen Klima und menschlichem Handeln tritt jetzt deutlich zu Tage. Und es wird wieder das große Jammern anheben, dass dieses nicht möglich ist wegen der Wirtschaft und jenes nicht möglich ist wegen der Arbeitsplätze und überhaupt alles unmöglich ist. Das Klima wird das nicht weiter kümmern. Steigt es eben bis zu 5 Grad. Sind eben die Stürme stärker, versinken eben Großstädte, versteppt eben Ostösterreich, wird eben Südeuropa unbewohnbar. Na und? Dem Klima kümmerts nicht. Wenns uns nicht kümmert…

Doch halt – sind die notwendigen Maßnahmen wirklich so schrecklich? Gehen wir zugrunde, wenn wir sie ergreifen? Oder könne es uns – ganz abgesehen vom Klima – nicht sogar besser gehen als je zuvor? Sind die Warner vor den angeblich schädlichen Folgen der Klimaschutzmaßnahmen nicht dieselben, die zusehends unsere Welt gegen die Wand fahren?

Was ist falsch daran, wenn wir damit aufhören, Öl zu importieren und stattdessen die Energie im eigenen Land oder zumindest in Europa aus Sonne, Wind und Wasser gewinnen?
Würde es keine ölbasierte Energie mehr geben, wären erstmal die meisten Kriege mit all ihren langfristigen Folgen wie Flüchtlingsdramen, Hunger und Krankheit obsolet. Auch der große Krieg, den die Ölindustrie schon seit Jahrzehnten gegen die Umwelt führt. Deepwater Horizon und Exxon Valdez sind Höhepunkte vieler verheerender Katastrophen, von denen sich die Umwelt bis heute nicht erholt hat. Die Existenzen, die damals vernichtet wurden, sind bis heute nicht wieder hergestellt. Auch, wenn niemand mehr darüber spricht. Shell vernichtet seit vielen Jahren das Land am Nigerdelta mit seiner „normalen“ Arbeit, auch ohne Havarien. Längst wurden alle Kleinbauern von dort vertrieben, ihr Land geraubt. Wie viele von ihnen zu Boko-Haram übergelaufen sind, ist eine Dunkelziffer. Gerade jetzt müssen die Indigenen Kanadas um ihr Land kämpfen, weil eine Erdölpipeline durch ihren Besitz führen soll. Der Ausgang ist ungewiss.

Was ist falsch daran, weniger Fleisch zu essen, dadurch geistig und körperlich gesünder zu werden und damit etwas für die Würde und das gute Leben der Tiere zu tun?
Auf zwei Drittel der weltweiten Getreideflächen müssen Futtermittel angebaut werden. Dazu kommen industrielle Tierhaltung und Tiertransporte. Das Corona-Virus entstand nach letzten Erkenntnissen in einem Wildtiermarkt in Asien. Wer diese Märkte schon einmal gesehen hat, der weiß, welche Qualen die Tiere dort aushalten müssen. Für die italienische Virologin Ilaria Capua steht außer Frage, dass das Virus aus dem Reich der Wildtiere entwachsen ist. „Wir müssen uns bewusst sein, dass wir Teil des Problems sind, weil wir es waren, die diese Situation geschaffen haben.“ Und der Naturforscher Johannes Vogel sagt dazu: „Die Pandemie ist ein spürbarer Ausdruck dafür, dass alles, was wir Menschen tun, zu uns zurückkommt.“

Was ist falsch daran, Arbeitsplätze im Bahnbau zu schaffen um damit möglichst vielen Menschen die Annehmlichkeiten des lautlosen Dahingleitens in einem komfortabel eingerichteten Waggon zu ermöglichen?
Bis vor einigen Jahren war ich es gewohnt, per Auto meine bayrischen Verwandten zu besuchen. Als ich dann auf die Bahn umgestiegen war, empfand ich die Fahrt fast paradiesisch. Draußen glitt die Landschaft vorbei. Ich lehnte mich zurück, las mal ein Buch, mal checkte ich meine Mails, dann ging ich auf einen Kaffee in den Speisewagen, es war einfach schön. Vor allem, wenn wir an einer Autobahn vorbei kamen und ich den Stau bewundern durfte. Und ich konnte mit meiner Frau plaudern, ohne angestrengt in den Rückspielgel zu schauen, weil ich überholen wollte oder zu fluchen, weil mir hinten einer aufrückte.

Was ist falsch daran, die dem Menschen innewohnende Neugier zu nutzen und sich anderen Lebensarten zu öffnen als der sattsam bekannten Konsumtristesse?
Glück – was ist das? Wenn ich in die Gesichter der meisten Menschen in den Einkaufstempeln sehe, weiß ich, was es nicht ist: Einkaufen. Wie lange hält die Freude über ein billiges T-Shirt an? Zehn Minuten? Eine halbe Stunde? Oder sogar einen halben Tag? Ein schwaches Glücksmittel dafür, dass mit der wasserintensiven Produktion von Baumwolle große Landstriche versteppen und 25 % aller Pestizide auf Baumwollplantagen eingesetzt werden. Weitere Beispiele des „segensreichen“ Wirkens des Gottes Konsum gibt es zu Hauf. Machen wir doch die Augen auf und öffnen wir uns dem Leben außerhalb des Konsums. Schaun wir uns um. Heben wir den Kopf von unseren Wegwerfhandys und nehmen wir die Wirklichkeit wahr. Da gibt es Menschen, da gibt es Wälder, da gibt es Anerkennung, da gibt es Gespräche, da gibt es Fürsorge, da gibt es Tiere, da gibt es….

Was ist falsch daran, die jetzt praktizierte Achtsamkeit beizubehalten und weiterhin aufeinander zu schauen?
Die jetzt praktizierte Achtsamkeit darf ich gerade selbst erfahren. Wir in meinem Umkreis achten auf uns. Wir nehmen Anteil. Wir fragen einander, wie es uns geht. Wir lächeln uns an, wenn wir uns begegnen. Warum? Weil wir plötzlich Zeit haben. Ich bin mir bewusst, dass es andererseits jetzt auch viel Zukunftsangst gibt. Auch Unmut. Es beginnen die ersten Zwistigkeiten. Immerhin gehen wir jetzt in die vierte Woche dieser Sondersituation. Aber wichtig wird sein, was wir uns mitnehmen in die Zeit danach. Das alles darf nicht umsonst passiert sein.

Ach ja – die Klimakrise. Die werden wir in den Griff kriegen. Wenn wir das Richtige mitnehmen.

Karl Wagner


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