"Aufbruch" - von Reinhard Fuchs
Viele Artikel, Beiträge und Kommentare beschäftigen sich in diesen Ostertagen mit Verzeihen, mit der Aufforderung, mehr zuzuhören, statt mit dem erhobenen Zeigefinger herumzufuchteln. Moral wird oft mit Moralisieren verwechselt. Und ethisches Bewusstsein mit Selbstherrlichkeit. Es ist auch oft die Rede davon, dass wir Gräben zuschütten und uns nicht gegenseitig anschütten sollen.
Dem kann ich viel abgewinnen. Nur fehlt mir dabei ein wichtiger Punkt. Nämlich die Diskussion mit mir selbst. Denn immer liegt die Betonung auf „wir“, statt auf „mir“.
Denn wer ist „wir“? Kann es sein, dass ich da immer – mehr oder weniger unbewusst – die anderen meine? Denn meine eigene Meinung, meine Überzeugungen, meine Einstellungen sind ja untadelig, oder? Nur Meine Wahrheit ist mit der Wirklichkeit ident. Also muss sie auch die einzige sein, nicht wahr?
Natürlich ist Klimaschutz wichtig und ich bin auch strikt dafür, Tierfabriken abzuschaffen. Tierquälerei ist mir ein Gräuel. Aber wehe, es will mir jemand mein tägliches Schnitzel wegnehmen. Oder – um Gottes Willen (bleiben wir bei der aktuellen Terminologie) – jemand meine Geschwindigkeit auf der Autobahn noch mehr begrenzen. Nicht auszudenken, wenn ich mein Ziel um fünf Minuten später erreiche.
Und noch was: Solange nicht alle Öltanker und Frachtschiffe gestoppt werden, buche ich meine Kreuzfahrten, basta!
Wie wunderbar funktioniert das doch, auf die anderen zu zeigen. Wie angenehm kann ich so mein Gewissen beruhigen.
Da müssen dann schon ordentliche Entschädigungen her, wenn ich etwas für meine eigene Zukunft und die meiner Nachfahren tun soll. Verantwortung übernehmen muss monetär belohnt werden.
Es gibt in diesem Blog einen früheren Beitrag dazu, der heißt "Der Dachstuhl brennt".. Da sitzt einer gemütlich vor dem Fernseher, als die Feuerwehr anklopft und ihm mitteilt, er müsse sofort das Haus verlassen, weil sein Dach brennt. Daraufhin entrüstet er sich über dieses freche Ansinnen und verlangt, man möge ihm gefälligst ein Hotelzimmer zahlen und den Fernseher, den teuren Teppich und das Mobiliar ersetzen, andernfalls bleibt er sitzen. Der Kipppunkt wird dann erreicht sein, wenn die Decke einstürzt. Das wird schnell gehen und die Einsicht wird zu spät kommen.
Kann es sein, dass ich mich in diesem Ignoranten wiedererkenne? Und wenn ich mich ganz stark konzentriere – steigt mir da nicht ein feiner Brandgeruch in die Nase?
Sollte ich nicht sofort aufspringen und mich auf den Weg machen? Nicht mehr auf andere warten, sondern mein Leben ändern?
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