21 Juni 2021

Die Selbstgerechten

 


Ihre Sohlen brennen schon lange nicht mehr, wenn sie über den heißen Sand geht. 
Während der jahrelangen, täglichen Wanderung vom Dorf zur Wasserstelle und zurück ist die Haut längst unempfindlich geworden. Seit sie denken kann, verbringt sie ihre Zeit damit, einen Wasserkrug auf ihrem Kopf zu tragen. Das Leben in ihrem Dorf steht und fällt mit dieser Tätigkeit. Das war in ihrer Kindheit so, das war so, als sie verheiratet wurde, und das ist auch heute so. Immer war es dieser lebensspendende Weg, der ihren Alltag bestimmte. Nur heute nicht. Denn heute ist der erste Tag in einem neuen Leben. Heute gibt es erstmals kein Wasser mehr im Brunnen. Der Eimer bleibt leicht und leer, als sie ihn heraufzieht. Heute würde sie auf dem Rückweg keine Last tragen müssen. Leicht und frei würde sie den Weg nach Hause antreten, um ihren Eltern, Freunden und Mitbewohnern zu sagen: Es ist so weit. Wir müssen gehen. Einige Kilometer durch die Wüste zum nächsten UNO-Lager, wo sich die Verlorenen sammeln, die nur noch ihr Leben haben.

Immer schon war sein Reisfeld ihre Lebensversicherung. 
Er und seine Familie konnten wahrlich keine Reichtümer anhäufen in den vielen Jahren als Reisbauern, aber sie konnten ein Leben in Zufriedenheit führen. Bis der Anstieg des Meeresspiegels immer sichtbarer und spürbarer wurde. Aufmerksam verfolgten sie die Nachrichten im Radio, wenn es um das Klima ging. Hörten die Bekenntnisse der Politik, lasen die Berichte, in denen Hilfe versprochen wurde, schöpften immer wieder neue Hoffnung. Dabei wurden die Ernteergebnisse immer dürftiger, denn die Versalzung weiter Landstriche schritt unaufhaltsam voran. Bis heute. Heute muss sich die Familie eingestehen, dass sich das Brahmaputra Delta endgültig mit dem Meer vereinigte. Sie müssen gehen. Doch wohin? Bangladesch hat doppelt so viele Einwohner wie Deutschland, aber nur die Hälfte der Fläche, von der ein Drittel bald dem Meer angehören wird.

Als sie den Brandgeruch bemerken, ist es bereits zu spät. 
Vater läuft aus der Hütte, mitten hinein in eine Rauchschwade. Schemenhaft sieht er seine Nachbarn ihre Kinder aus den Hütten tragen. Einige der Hütten fingen bereits Feuer, in letzter Sekunde konnten sich die Bewohnerinnen retten. Hinter ihm kommen seine Kinder und seine Frau heraus. Panisch weinend. Wohin? Vor und hinter ihnen eine Feuerwand, der Urwald brennt. Die monatelange Trockenheit lässt das Feuer blitzschnell voranschreiten. Zu schnell, um sich rechtzeitig in Sicherheit bringen zu können. 
„Das Amazonasgebiet gehört Brasilien und wir machen damit, was wir für richtig halten“, sagt Bolsonaro. Er verbitte sich jede Einmischung in die „inneren Angelegenheiten“ seines Landes.

„So, für die diese Woche haben wir die guten Taten für die Umwelt erledigt“, 
sagt Herr F. zu seiner Frau, als sie den Bioladen verlassen. „Fast 100 Euro sind genug, denke ich“. Selbstzufrieden schleppen die beiden ihre Bioware über den Parkplatz, um ihn in ihren Range Rover zu verstauen. Zu Hause angekommen, stöhnen sie unter der seit Tagen anhaltenden Hitze. Gut, dass ihr 300-Quadratmeter-Haus vollklimatisiert ist. Zusammen mit dem Swimming-Pool lässt es sich aushalten. Frau F. beginnt, den Einkauf zu sortieren, während ihr Mann noch rasch das Unkrautvernichtungsmittel auf dem Rasen ausbringt.
Abends sitzen sie vor dem Fernseher und sehen ZIB. Eher aus Gewohnheit, als aus Interesse lassen sie sich von den Nachrichten berieseln. Krieg in Syrien, Dürrekatastrophe in Äthiopien, neue Rekordhitze in Europa. „Ich darf nicht vergessen, etwas gegen den Bau der Windkraftanlage in meiner Nachbarschaft zu unternehmen“, sagt er noch vor dem Einschlafen in seinem angenehm gekühlten Schlafzimmer zu seiner Frau. „Ach ja, noch was: man will hinter unserem Haus eine Fernwärmeleitung verlegen. Die soll das Wohnhaus da hinten versorgen. Mich haben sie auch gefragt, ob ich die Erdgasheizung ersetzt haben will. Das können sie vergessen, so teuer wie das Zeug ist. Wenn die wollen, dass ich vom Erdgas weg gehe, müssen sie es schon billiger geben“. Bald darauf schläft er schnarchend den Schlaf des Gerechten. Seufzend dreht sich Frau F. auf die ihm abgekehrte Seite.

Herr W. steht vor dem Fleischregal im Supermarkt. 
"Schon wieder teurer geworden ", murmelt er unwillig. Er packt trotzdem einige schöne Filetstücke in seinen Einkaufswagen. "Immerhin noch billiger als das Gemüse", denkt er sich, da muss er auf seinen täglichen Fleischgenuss nicht verzichten. Dann weiter zu den Milchprodukten. Dort sucht er aus den zwei Metern Joghurtsorten das Mango-Kiwi heraus und fährt weiter zum Wein. Der australische Rotwein kostet einen Bruchteil des österreichischen. Da muss man ja komplett vertrottelt sein, wenn man den teuren aus Österreich nimmt. Als er mit seinem Einkaufswagen hinaus kommt, packt er alles in seinen Rucksack. Er ist nämlich mit dem Rad da. Aus Umweltschutzgründen...

1 Kommentar:

  1. Man muss es fehlenden Weitblick, Bequemlichkeit, Egoismus oder auch Schlimmeres nennen, wenn wir unser Gewissen mit scheinheiligen Umweltschutz-Maßnahmen beruhigen, aber nicht bereit sind, von unserer Geiz-ist-geil- Mentalität und unserem die Umwelt zerstörendem Konsumverhalten abzuweichen. Und wehe, wir müssten eine unserer liebgewordenen Verhaltensweisen oder eines unserer Vorurteile aufgeben!

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