Je mehr Menschen wir über die Aufgabe und den Nutzen des Waldes befragen, desto mehr Antworten erhalten wir. Die einen sagen, der Wald ist Lebensraum für Wesen, die ebenso wie wir eine Berechtigung haben, diese Welt zu bevölkern. Andere sehen ihn als Erholungsgebiet, wieder andere sagen, er sei ein wichtiger Kohlenstoffspeicher. Und dann gibt es noch die große Gruppe von Menschen, deren Einkommensgrundlage die Bewirtschaftung des Waldes ist, indem sie Bauholz und Biomasse als Energieträger zur Verfügung stellen. Der Wald ist also Lebensraum. Er sorgt für Wasser, für saubere Luft und Erholung. Aber er ist auch eine Betriebsstätte. Die Balance zur Nachhaltigkeit ist dabei zu wahren.
Keine leichte Aufgabe, denkt man sich angesichts dieser vielen, teilweise einander konkurrenzierenden Funktionen. Aber lösbar. Nämlich dann, wenn Naturschutz und Forstwirtschaft Hand in Hand gehen und allen ihren Raum lassen. Den Biotopen einerseits und den Plantagen andererseits. Wenn der Mensch Möglichkeiten findet, sich zurückzunehmen. Auch angesichts der Tatsache, dass Holz als Baustoff immer beliebter wird. Denn wenige Industrieprozesse verursachen derart viele Emissionen wie die Herstellung von Zement. Auch ein Passivhaus verschlechtert bei einem Keller aus Stahlbeton seinen ökologischen Fußabdruck. Die Bauwirtschaft beginnt die Gefahr zu erkennen und hat bereits die Kreislaufwirtschaft im Focus. Es ist zu hoffen, dass Mittel und Wege gefunden werden, die Verwendung von Recyclatbaustoffen zu intensivieren. Der Weg dahin scheint aber noch weit. Im Gegensatz dazu ist Holz bereits jetzt als Baustoff einsatzbereit. Im Idealfall wird wohl beides – die Kreislaufwirtschaft und die Verwendung von Holz - Eingang in den Gebäudebau finden.
Aber müssen wir uns angesichts dieser Mannigfaltigen Verwendungsmöglichkeiten von Holz nicht Sorgen um unseren Wald machen? Dr. Silvio Schüler, Biologe und Experte für Waldbau, Waldwachstum und Genetik am Österreichischen Bundesforschungszentrum für Wald (BFW), kann zunächst beruhigen. Dem österreichischen Wald geht es – allen Unkenrufen zum Trotz – sehr gut. Die Waldfläche ist so groß wie seit hunderten von Jahren nicht mehr. Beinahe die Hälfte Österreichs ist mit Wald bedeckt. Österreich ist nach Slowenien das am dichtesten bewaldete Land Mitteleuropas. Die Waldfläche wächst um ca. 4.700 Fußballfelder pro Jahr.
Was nicht heißt, dass alles eitel Wonne ist. Infolge der Erderhitzung breitet sich der Wald in immer größere Höhen aus, was fatale Auswirkungen auf Bergwiesen und Moore hat. Waldschäden durch Sturm treten in den letzten Jahren häufiger auf. Neu sind die lang andauernden extremen Trockenperioden wie auch die Starkregen im Sommer mit den darauffolgenden Schädlingsvorkommen.
Zweifellos haben es die Bäume schwer, denn innerhalb eines Baumlebens von etwa 100 bis 200 Jahren müssen wir mit Temperaturänderungen von 2 bis 5 Grad rechnen. Das ist mehr, als die meisten Baumarten überstehen können. Wobei wir hier hauptsächlich von Fichten sprechen. Leider war und ist die Forstwirtschaft hauptsächlich an ihr interessiert. Unbelehrbar? Schon im 19. Jahrhundert gab es das Sprichwort: „Willst du deinen Wald vernichten, pflanze Fichten, nichts als Fichten.“
Ganz unbelehrbar sind wir aber nun doch nicht. Das sieht man beispielsweise am Nationalpark Kalkalpen in Oberösterreich. Auf einer Fläche von 210 km² schützt er das größte zusammenhängende Waldgebiet Österreichs. Hier wurde kürzlich die älteste Rotbuche des gesamten Alpenraums mit einem Alter von 546 Jahren gefunden. Außerdem gibt es in den Kalkalpen 1,560 Schmetterlingsarten. Das ist mehr als sonst wo in Europa. Ein wichtiger Lebensraum ist auch das Totholz. Es macht etwa 10 bis 20 Prozent der Biomasse des Waldes aus.
Lässt man dem Wald Zeit, kann er sogar mit dem Borkenkäfer fertig werden. Im Nationalpark Berchtesgaden existiert ein Borkenkäferversuchsgebiet. Es stellt sich heraus, dass durch den Borkenkäfer die Nischenvielfalt steigt und die Waldverjüngung gut funktioniert. Es kommen seltene Arten zurück. Interessant ist dass diese Vorgänge in einem reinen, naturfernen Fichtenwald entstanden sind.
Es scheint also sicher, dass naturbelassene Mischwälder besser mit Umweltveränderungen zu Rande kommen als bewirtschaftete Monokulturen. Selbstverständlich kann das aber nicht heißen, dass wir jetzt den gesamten Waldbestand sich selbst überlassen müssen. Das ist schon aus dem Grund nicht möglich, dass große Anstrengungen unternommen werden müssen, um die Fichtenwälder in Mischwälder umzuformen. Das bedeutet riesige Investitionen. Außerdem gehören in Österreich 82 Prozent der Wälder Privatpersonen. Davon gibt es viele, für die ihr Wald ihre einzige Einkommensquelle und derzeit wohl auch eine gehörige Problemquelle darstellt.
Haupteinnahme und Problemquelle ist der Wald auch für Günter Kleinzig aus St. Georgen in Kärnten. Sein Wald ist eine Fichtenmonokultur, wobei er bereit an der Umwandlung seines Waldes arbeitet. Neue Fichten werden nicht mehr gepflanzt, stattdessen Bergahorn, Kirsche oder Douglasie, die sich – so hofft er – von allein fortpflanzen werden. Grundsätzlich geht es in Kärnten besser als in anderen Gegenden wie im Waldviertel. Sehr schlecht sieht es im Mühlviertel aus. Da dort etwa die gleichen Umgebungsparameter vorherrschen wie in Kärnten, macht ihm das Sorge. Kleinzig bemüht sich, zwischen Ökonomie und Ökologie die Balance zu halten. Er fördert die Rückkehr der Raubvögel, schützt den Fuchs und die Ameisenbestände und lässt so viel Totholz liegen wie nur möglich. Auch Gegenspieler der Borkenkäfer werden gefördert.
Man sieht also schon die Lösung, die sich herauskristallisiert: Sie liegt in der Vielfalt. In der Art der Bewirtschaftung oder Nichtbewirtschaftung. Sollte es zu Extremereignissen kommen, werden nicht alle Wälder und alle Baumarten gleichermaßen betroffen sein.
Der Mensch muss in die Waldprozesse mit einbezogen werden. Es geht nicht um entweder oder, sondern wie und in welchem Umfang man welche Wälder schützen sollte. Dabei müssen alle Ökosysteme berücksichtigt werden.
Aber bei all dem muss eines klar sein: Es ist nicht die Funktion des Waldes, das CO2 aufzunehmen, das wir Menschen durch unseren verschwenderischen und rücksichtslosen Ressourcenverbrauch freisetzen. Das müssen wir schon selbst reduzieren. Durch die Änderung unserer Lebensart. Davon können uns auch die erneuerbaren Energieträger nicht befreien.
Quellen: Radiokolleg „Zukunft Wald“, 1. – 4.3.2021, BFW (
www.bfw.gv.at ), Salzburger Nachrichten vom 5.3.2021.