Franz-Josef Czernin
Dieser Text von Franz Josef Czernin ist hier kommentarlos veröffentlicht.
Die Wahl ist vorbei, und die sogenannten Wahlverlierer haben den Medien und mit diesen uns, den Wählern und Wählerinnen, Rede und Antwort zu stehen.
Und sogleich wird den Parteiverantwortlichen (und manchmal ziemlich aufdringlich) nahegelegt, dass sie an ihrer Niederlage mitschuld sind; dass sie, wenn sie verloren haben, etwas falsch gemacht haben müssen: Denn wer von uns, Österreichern und Österreicherinnen, nicht gewählt wird, der verliert, und wer verliert, muss Unrecht und also versagt haben. Denn nur Erfolg gibt Recht, Niederlagen aber Unrecht. So und nicht anders will es die herrschende Logik einer – wie ich wenigstens hoffe und glaube – missverstandenen Demokratie.
Und es hat dann etwas beinahe Rührendes, wie die armen Verlierer sich auch noch bedanken, wie sie nach Erklärungen suchen und ihre Fehler, ja ihre angebliche Schuld, wie gewunden auch immer, eingestehen. Und wie sie schließlich zugeben, dass ihr Versagen auch darin liegt, nicht genug getan zu haben, um uns, wie es so schön heißt, dort abzuholen, wo wir sind.
Wo aber sind wir oder mindestens viele von uns tatsächlich?
Bedeutet jenes Eingeständnis nicht vor allem (man verzeihe mir meine Wortwahl), uns nicht tief genug in den Hintern, also dorthin gekrochen zu sein, wo vor allem unsere Ignoranz, unsere Bequemlichkeit oder unsere Ungeduld und unser Zorn herrschen?
Ihr, die Politiker und die Politikerinnen, scheint nicht zu verstehen, dass ihr dort, wo ihr uns (und zunächst oft auch gegen eure eigenen Überzeugungen) abholen wollt, dazu verurteilt seid, euch nach und nach in uns zu verwandeln, also in unsere Ignoranz, in unsere Bequemlichkeit, oder eben auch in unsere Ungeduld und in unseren Zorn. Und dass eben deshalb fundamentale Probleme nicht mehr ernsthaft angesprochen, geschweige denn gelöst werden können.
Einmal nur möchte ich einen sogenannten Wahlverlierer sagen hören: Leider bist du, Wähler, seid ihr Wählerinnen, unserer Politik nicht gerecht geworden, leider hast du und haben viele von euch sehr viel falsch gemacht; und wenn ihr schon von Verlierern sprecht, so seid ihr die wirklichen Verlierer: Weil ihr nicht bereit seid, auch unbequeme Wahrheiten zu akzeptieren, ihre Folgen zu bedenken und ihnen gemäß zu handeln. Weil ihr eure Emotionen leichtfertig für das Wahre oder Richtige hält, haben uns so wenige von euch gewählt, habt ihr also vor unserer Politik versagt. Gerade weil unser Programm vergleichsweise moralisch verantwortlich ist, weil es ernsthafte Maßnahmen, etwa für den Klimaschutz, vorsieht, weil wir die Wissenschaften und die Menschenrechte ernstnehmen, weil wir wissen und zu erklären versuchen, dass es in einer komplexen Welt keine einfachen Lösungen gibt, haben so wenige von euch uns gewählt. – Das ist, ob ihr das nun glaubt oder nicht, zu eurem, ja zu unser aller Schaden.
Ich weiß: Eine Antwort dieser Art auf eine Wahlniederlage ist Utopie, und ich weiß daher auch, dass jemand, der so antwortet, wahrscheinlich zu keiner Wahl mehr stehen wird. Dass dies aber so ist, zeigt das nicht ein fundamentales Dilemma in unserer Demokratie?