10 Februar 2024

ein neues 1933 verhindern - von Harald Martenstein

Auf Österreich umgelegt braucht man nur die Jahreszahl zu verändern.

Ha­rald Mar­ten­stein in "Die Zeit" über De­mons­tra­tio­nen und die Fra­ge, wie man ein neu­es 1933 ver­hin­dert
 
"Nach den Mas­sen­mor­den an Ju­den in Is­ra­el, al­so nach dem 7. Ok­to­ber, hat es in Deutsch­land De­mons­tra­tio­nen ge­ge­ben, bei de­nen der Op­fer ge­dacht wur­de. Am 22. Ok­to­ber ver­sam­mel­ten sich am Bran­den­bur­ger Tor ge­ra­de mal 10.000 Men­schen. Und das in ei­nem Land, des­sen Staats­rä­son laut stän­dig wie­der­hol­ten Be­teue­run­gen zu ei­nem we­sent­li­chen Teil aus dem »Nie wie­der« be­steht. Ge­meint ist un­ter an­de­rem: nie wie­der Ausch­witz. Seit 1945 war den SS-Mör­dern in Wort und Tat nie­mand mehr so na­he ge­kom­men wie die Ha­mas.

Vie­le, auch in Deutsch­land, kri­ti­sier­ten statt­des­sen Is­ra­el für sei­ne Be­sat­zungs­po­li­tik. Das kann man tun. Aber man kann un­mög­lich Mas­sen­mord zu ei­nem Akt des Wi­der­stands adeln. Auch vie­le Ju­den leh­nen be­kannt­lich die Be­sat­zungs­po­li­tik ab. Ein paar von ih­nen wur­den von der Ha­mas um­ge­bracht. Die Na­zis er­mor­de­ten auch al­le Ju­den, ein­schlie­ß­lich de­rer, die deutsch­na­tio­nal dach­ten und im Ers­ten Welt­krieg mit Or­den be­hängt wor­den wa­ren.

Nach den Cor­rec­tiv-Ent­hül­lun­gen de­mons­trier­ten bun­des­weit un­ge­fähr ei­ne Mil­li­on Men­schen ge­gen die AfD, ei­ne ganz an­de­re Grö­ßen­ord­nung. Ei­ni­ge De­mons­tran­ten zeig­ten Pa­ro­len wie »Es ist an der Zeit, es bes­ser zu ma­chen als un­se­re Ur­gro­ß­el­tern«.

Die­se Fra­ge hat mich mein Le­ben lang be­schäf­tigt, sie ist die Grund­fra­ge mei­ner Exis­tenz, je­den­falls was mein Deutsch­sein be­trifft: Wie kann ich es bes­ser ma­chen? Bei mir geht es na­tür­lich eher um mei­ne El­tern und Gro­ß­el­tern, die we­der Na­zis wa­ren noch im Wi­der­stand. Den Ju­den aber hat kei­ner ge­hol­fen. Al­le ha­ben weg­ge­schaut. Man brauch­te Mut; ob ich ge­nug da­von ge­habt hät­te, weiß ich nicht.

Wenn ich ei­ne To-do-Lis­te zu schrei­ben hät­te, zum The­ma »Neu­es 1933 ver­hin­dern«, dann stün­de auf Platz eins: »Ju­den müs­sen in Si­cher­heit le­ben, in Deutsch­land und über­all. Weg­schau­en ver­bo­ten.« Das Pro­jekt, al­le Ju­den aus­zu­rot­ten, war das Be­son­de­re, was die Na­zis von an­de­ren Na­tio­na­lis­ten un­ter­schied, ihr Al­lein­stel­lungs­merk­mal. Auf der To-do-Lis­te stün­de na­tür­lich noch an­de­res, zum Bei­spiel, dass nie­mand we­gen sei­ner oder ih­rer Her­kunft aus Deutsch­land aus­ge­wie­sen wer­den darf.

Wo wa­ren die­se ei­ne Mil­li­on Leu­te, die ein neu­es 1933 ver­hin­dern wol­len, ei­gent­lich nach dem 7. Ok­to­ber? Ich re­de nicht nur über De­mons­tra­tio­nen, auch über Mei­nungs­bei­trä­ge. Ei­nen »Auf­schrei«, wie man das heu­te nennt, ha­be ich nicht ge­hört, au­ßer­halb der Kom­men­ta­re in den Zei­tun­gen. Lau­ter wur­de es erst, als die is­rae­li­sche Of­fen­si­ve be­gann.

Bei ei­ner De­mo in Mün­chen wur­de ein Spruch­band mit dem Text »Ge­gen is­rae­li­schen Fa­schis­mus!« mit­ge­führt. »Ein klei­ner Teil der De­mons­tra­ti­on rich­te­te sich ge­gen Is­ra­el«, stand in der Abend­zei­tung. Bei der De­mo in Ber­lin wur­den Teil­neh­mer, die sich als pro­jü­disch zu er­ken­nen ga­ben, laut Der Wes­ten als »Na­zis« be­schimpft und be­droht. Ich bin­de das nicht den De­mons­tran­ten ins­ge­samt ans Bein. Aber es ist schon bi­zarr, wenn ein »neu­es 1933« mit­hil­fe von Leu­ten ver­hin­dert wer­den soll, die zwi­schen Hit­ler und Is­ra­el kei­nen Un­ter­schied er­ken­nen.

Ich woll­te be­grei­fen, was kaum zu be­grei­fen ist, Ausch­witz. Al­so ha­be ich Ge­schich­te stu­diert, Schwer­punkt 20. Jahr­hun­dert. Ir­gend­wann hat­te ich ver­stan­den, dass es in Deutsch­land vor 1933 fast kei­ne De­mo­kra­ten mehr gab, nur noch Fa­na­ti­ker und Welt­erlö­ser der ver­schie­dens­ten Spiel­ar­ten. Al­les Mög­li­che war wich­ti­ger als Frei­heit und Men­schen­rech­te. Das ist es, was ich glau­be, ge­lernt zu ha­ben."

Warum dieser Artikel in einem Umweltblog? Weil Rechtsradikale keinen Bock auf Klimaschutz haben und betonstur die Klimakrise und damit alle physikalischen Naturgesetze leugnen. Das heißt für Österreich: kommen sie in die Regierung, kommt weitere intensive Versiegelung, weiterer Ausbau des Individualverkehrs und Stopp jeglicher alternativer Mobilitätsmöglichkeiten wie Rad, Bahn und Bus. Sämtliche trotz ÖVP erreichten Klimaschutzmaßnahmen stehen dann zur Disposition. Alle damit verbundenen negativen Konsequenzen wie wirtschaftlicher Abstieg, Strafzahlungen und Verschlechterung der Lebensqualität werden folgen. Das wiederum wird sich auf die Stimmung in der Bevölkerung niederschlagen. Wer wird schuld sein? Natürlich die Anderen. Die Migranten, die Juden, die Moslems, die Grünen, die Linken, oder einfach alle, die auf "Fahndungslisten" stehen!

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