Das Bild oben zeigt Norbert und mich, wie wir erschöpft im Gras liegen. Wir befanden uns auf einem Radausflug über den Wechsel. Es war Anfang der 70-er-Jahre. Ultraleichte Rennräder waren uns fremd. Ich selbst hatte nicht einmal ein Gangrad. Zum Glück waren die Lkw´s damals keine schnell fahrenden Einmann-Hotels, sondern langsam sich dahin schleppende einfache Fahrzeuge mit einer holzumrahmten Ladefläche, die sich mit der Steigung ebenso schwer taten wie wir. Man konnte sich leicht an den Ladebordwänden festhalten und sich gemütlich aufwärts ziehen lassen. Leider ließen wir die Bordwände in der irrigen Meinung, die Steigung wäre vorbei, zu früh los. Das Resultat – siehe Foto.
Der Umweltgedanke war mir damals noch nicht deutlich ins Bewusstsein gerückt. Ein Moped wäre schön gewesen, hätte ich es mir leisten können. Mit dieser Feder möchte ich mich nicht schmücken. Ich wäre gerne mit einem stinkenden, lauten Moped über den Wechsel gefahren, damals.
Ja – damals. Später las ich das Buch „Die Grenzen des Wachstums“. Die schwache Knospe des Umweltbewusstseins wurde schnell überwuchert von anderen Problemen, gegen die angegangen werden musste. Vietnamkrieg, Angolakrieg, Kalter Krieg, Atomare Aufrüstung, Rassismus. Zu allem Überfluss waren alte Nazis noch allgegenwärtig in den Amts- und Wirtsstuben. Auch in den Schulen. „Du mit deiner Umwelt“, sagte einmal jemand zu mir. Ich beließ es dabei und widersprach ihm nicht. Auch mir war anderes wichtiger. Weder in der Schule noch in der Familie noch in den Medien war etwas zu erfahren über Umweltschutz. Die Klimakrise war noch in weiter Ferne. Allerdings nur in unserem Bewusstsein. In Wahrheit war sie schon weit fortgeschritten. Warnungen wurden ignoriert oder nicht ernst genommen.
Bei all den Protesten gegen die vielen Kriege gegen die vielen Ungerechtigkeiten in der Welt, gegen die Missstände in unserer Gesellschaft führten wir längst einen ganz anderen Krieg. Einen Krieg gegen die Natur. Jemand sagte einmal, ein Krieg kennt keine Sieger. Ich füge hinzu, ein Krieg kennt aber einen Wiederaufbau, einen Friedensschluss. Doch der Krieg gegen die Natur kennt das nicht.
Der Klimaforscher Johan Rockström, Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung warnt: Wenn die Staaten nicht ehrgeiziger gegen die Erderwärmung vorgingen, würden bereits 2070 mehr als 3,5 Milliarden Menschen in Regionen leben, deren Durchschnittstemperatur ein Gesundheitsrisiko wäre, betonte er bei der Klimakonferenz in Glasgow. Sollte die Erderwärmung tatsächlich auf 2,7 Grad Celsius steigen würde man „praktisch auf einem zerstörten Planeten leben“, sagte er (Salzburger Nachrichten vom 6. November).
Es ist ärgerlich, dass die Wissenschaft sich immer so nobel ausdrückt. Für Noblesse und Zartgefühl ist keine Zeit mehr. Rockström sagt, wir würden auf einem zerstörten Planeten „leben“. Kann man das dann noch „leben“ nennen?
Ich versuche, seine Diplomatensprache zu übersetzen:
Bis zur endgültigen Zerstörung 2070 wird es ein leidvoller Weg sein. Erst werden sich alle derzeitigen Naturkatastrophen wie Überflutungen, Hurrikans mit Starkregen, Hitze- und Dürrezeiten, Missernten und Hunger um ein Vielfaches verstärken. Wenn die Gletscher ihr letztes Eis als Wasser gespendet haben, wird es Wassermangel geben. In der nächsten Stufe werden sich Millionen Menschen aufmachen, um von ihren unbewohnbar gewordenen Gebieten wegzukommen. Aber wohin sollen sie gehen? An den Grenzen Europas wird es folglich zu kriegsähnlichen Zuständen kommen. Die Wirtschaft wird global zusammenbrechen. Atomkraftwerke werden mangels Wasser nicht mehr gekühlt werden können. Wochenlange Blackouts werden unsere Welt zu einem chaotischen Irrenhaus werden lassen, wo das Recht des Stärkeren gilt. Kriege aller gegen alle werden ausbrechen. Am Ende, wenn der Planet zerstört sein wird, wird das große Sterben beginnen. Die Erderhitzung wird infolge lange vorhergesagten Eintretens von Kipppunkten unaufhaltsam und exponentiell fortschreiten. Millionenstädte wie New York oder Staaten wie Bangladesch werden teilweise im Meer versinken. Die Ozeane werden zu CO2-Schleudern werden. Am Festland wird es zu gewaltigen Bränden kommen, die durch starke Stürme immer weiter angefacht werden. Die Erde wird für Menschen unbewohnbar werden. Für alle.
Das versteht man unter einem zerstörten Planeten.
Und wir? Wir fahren weiterhin mit SUVs zum nächsten Zigarettenautomaten, lassen Rinderhälften aus Argentinien und Rotwein aus Südafrika einfliegen. Sehen uns mit wohligem Gruseln Weltuntergangsfilme an. Politiker machen sich Sorgen um das BIP und die Gewerkschaften um Arbeitsplätze. Arbeitgeber und Arbeitnehmer feilschen um die nächste Lohnerhöhung. Die Ölgesellschaften suchen nach Öl und Erdgas und freuen sich über Wachstum. Bürgerinitiativen verhindern die Errichtung von Anlagen für erneuerbare Energien und beklagen sich gleichzeitig über die Tatenlosigkeit der von ihnen gewählten Politiker. Alles ist so, wie es immer war.
Ich glaube, es kann nicht als pathetisch bezeichnet werden, wenn mich jetzt, im Herbst meines Lebens die bittere Erkenntnis heimsucht, mit meiner Lebensart zum Herbst der ganzen Menschheit beigetragen zu haben. Zu einem Herbst ohne Frühling.
Ich sehe hinaus auf die Terrasse. Sonnenstrahlen brechen durch das Geäst des Hasels und bringen seine herbstlich gefärbten Blätter zum Leuchten. Von kräftigem Gelb über sattem Rot bis zu warmem Braun, dazwischen blitzt noch etwas Grün hervor. Eine Meise sitzt auf einem der Äste und hämmert auf etwas Nahrhaftem herum, während einige Spatzen im Geäst lärmen. Jetzt hebt sich der kleine Schwarm in die Lüfte und verliert sich im Eisblau des Himmels. Am sonnenwarmen Glas der Terrassentüre hat es sich ein Grashüpfer bequem gemacht.
Alles scheint gut.
Die Trauer um das, was bereits verloren ist und das, was verloren sein wird, muss erlaubt sein. Aber sie muss auch verbunden sein mit dem Mut und der Tatkraft, alle uns möglichen Mittel anzuwenden, die Zerstörung des Planeten zu verhindern.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen