04 Oktober 2021

Die Dinge beim Namen nennen

 



In letzter Zeit stieß ich oft – zu oft – auf Statements, die traurig und auch wütend machen. Erklärungen, warum alle Klimaschutzbemühungen vergeblich sein müssen, dass wir uns Klimaschutz ja gar nicht leisten können, oder dass gefälligst die Reichen, China, die USA oder die Konzerne – kurz gesagt - "die Anderen“ etwas tun sollen. "Die Anderen" – wer auch immer damit gemeint ist, sollen Windparks, Biomasseanlagen, Photovoltaikfelder bauen, nicht „wir“. Selbst die geplante Lärmschutzwand in Biedermannsdorf steht in der Kritik, weil sie nicht schön ist. Diese Verhinderungsmentalität, diese Verdrängungsmanie, diese Selbstsucht, diese Bequemlichkeit, dieser unbedingte Wille, in der Komfortzone zu bleiben, was auch geschehen mag, ist beklemmend. Es ist geradezu unheimlich, mit welcher Sturheit viele PolitikerInnen und CEOs immer noch nach einem steigenden BIP schreien. Ob es ein Embryo im Mutterbauch ist oder ein Tumor - egal. Hauptsache, es wächst.

Eben wurde die Steuerreform beschlossen. Türkis und Grün sind zufrieden. Aber würde es reichen, wenn die gleichen Maßnahmen auch international Anwendung finden würden? Würde es dann bei 1,5 Grad bleiben? Wenn ja, müssten wir trotzdem trauern um das Viele und Wertvolle, das bereits jetzt unwiederbringlich verloren ist. Wir müssten mit einem Klima leben, dass in weiten Teilen der Welt lebensfeindlich geworden ist. Und wenn nicht lebensfeindlich, so zumindest lebensgefährlich. Hurrikans mit Starkregen werden weiterhin Menschen um ihr Hab und Gut bringen, Berghänge werden weiterhin in Bewegung kommen und die Hitzewellen werden weiterhin ihre Opfer fordern. Es wird auch Fluchtbewegungen geben aufgrund von Klimaveränderungen und Landverlust. Aber das wird noch bewältigbar sein. Wenn wir solidarischer werden und wenn wir Wachstum neu denken, damit Wirtschaft nicht mehr tötet, sondern hilft.

Sollte es nicht klappen, steuern wir auf drei bis vier Grad Erderwärmung bis zum Ende dieses Jahrhunderts zu und all das, was jetzt schon passiert, wird sich um ein Vielfaches verstärken. Der isländische Umweltschützer und Autor Andri Snaer Magnason hat dazu in seinem Buch „Wasser und Zeit“ deutliche Worte gefunden:
„So, wie es momentan aussieht, steuern wir auf drei bis vier Grad Erderwärmung am Ende dieses Jahrhunderts zu. Eine solche Erwärmung hat Folgen, die sich am ehesten mit einem nuklearen Winter vergleichen lassen. Der Temperaturanstieg verstärkt die Kraft von Wirbelstürmen und Unwettern, es wird mehr Wetterextreme mit starken Dürren und Überschwemmungen geben, bei denen Ernten zerstört und Ackerflächen weggespült werden. Es ist absehbar, dass Flüchtlingsströme aus nicht mehr bewohnbaren Regionen in Afrika, China, Indien und dem Nahen Osten zunehmen werden, dass in Amerika und Skandinavien Wälder abbrennen werden, dass der Permafrostboden in Sibirien tauen und Methangas freisetzen wird, welches das Tempo der globalen Erwärmung noch ankurbelt. Gegen Ende des Jahrhunderts wird die heutige Situation am Mittelmeer ein Klacks sein im Vergleich zu dem, was kommt, wenn hundert Millionen Klimaflüchtlinge losziehen. Also: Krieg, Tod und Vernichtung. Natürlich soll man keine Panik schüren. 
Aber das Paradoxe ist, dass wir die Probleme nicht lösen, wenn wir sie nicht als Probleme erkennen. Wir müssen in Angst und Schrecken versetzt werden und gleichzeitig daran glauben, dass wir unsere Lage verbessern können.“

Ich glaube auch, dass die Dinge beim Namen genannt werden müssen. Wir haben keine Zeit mehr, um den heißen Brei herumzureden, damit niemand erschrickt. Dieses Thema ist nichts für Zartbesaitete.

1 Kommentar:

  1. Die erwähnten drei bis vier Grad Erwärmung, auf die wir zusteuern, sind ein globaler Mittelwert. Weitab von großen Ozeanen (wie bei uns) wird das nochmals das Zwei- bis Zweieinhalbfache sein, wie man auch jetzt schon sieht.

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