Am 9. August erschien der erste Teil des 6. Sachstandsberichts des IPCC (Intergouvernemental Panel on Climate Change, auch als Weltklimarat bezeichnet). Und er hielt schlechte Nachrichten parat. Wenn nicht eine tiefgreifende Reduzierung des Treibhausgasausstoßes erfolgt, wird sich die Erderhitzung bereits in den frühen 2030er Jahren über 2 Grad erhöhen. Die Begleiterscheinungen werden gewaltige Naturkatastrophen in allen Regionen der Welt sein. Zieht man in Betracht, dass alle Vorhersagen des Weltklimarats bisher eingetroffen sind, müssen diese Warnungen sehr ernst genommen werden.
Wahrscheinlich wird es trotzdem genügend „Genies“ geben, die die Klimakrise als „Zeitgeist“ oder als Übertreibung abtun. Auch, wenn sich das Drama bereits vor unseren Haustüren abspielt.
Da traf es sich gut, dass ich die Gelegenheit hatte, einen der sieben wissenschaftlichen Hauptberater der EU-Kommission, Professor Nebosja Nakicenovic, zu einem Gespräch rund um den IPCC zu treffen.
Nebosja Nakicenovic war stellvertretender Generaldirektor der IIASA und Professor für Energiewirtschaft an der Technischen Universität Wien.
Weiters war er maßgeblich am 5. Sachstandsbericht des IPCC beteiligt und zusammen mit der bekannten Klimaforscherin und mehrfachen Buchautorin Frau Prof. Helga Kromp-Kolb und Prof. Karl Steininger vom Wegener Center an der Uni Graz koordinierender Leitautor des „Österreichischen Sachstandsberichts 2014“.
Ich freue mich, Inhalte dieses Gesprächs den Biedermannsdorfern und Biedermannsdorferinnen nun zur Verfügung stellen zu können.
Die Geschichte1985 gab es in Villach ein Treffen von 88 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Unter anderem wirkte dabei auch Dr. Jill Jäger mit, damals Senior Researcher am Sustainable Europe Research Institute. Sie lebt heute in Wien. Die Teilnehmer an diesem Treffen erkannten damals die Gefahr, die vom menschenverursachten Klimawandel ausging. Im Bewusstsein der Wichtigkeit dieses Themas hoben sie es auf die internationale politische Agenda. Die Politik muss sich mit der Wissenschaft zusammenschließen, um dieser Gefahr wirksam begegnen zu können. Damals wurde genau das vorhergesagt, was heute passiert. Die Erwärmung um einen Grad, mit allen dazugehörigen negativen Begleiterscheinungen. (Anmerkung des Verfassers: Wobei in den Alpen und in Österreich die Erwärmung bereits sehr viel weiter, bis zu zwei Grad, fortgeschritten ist).
Natürlich schätzten viele Menschen die Gefahr schon viel früher als hoch ein, wie zum Beispiel der finnische Chemiker Arhenius (1859 – 1927) oder Alexander von Humboldt (1769 – 1859), der Forschungsreisende, der schon damals das Verschwinden von Wäldern für künftige Naturkatastrophen verantwortlich machte. Doch dieses Mal kam die Nachricht von einer ganzen Gruppe namhaften Wissenschaftlern, was dann auch zur Gründung des IPCC im Jahr 1988 unter Führung der IIASA führte.
Die Prozedur
Auf meine Bedenken hin, dass – wenn die Politik mit im Boot ist – immer auch von gewissen Lobbys beeinflusste Beschwichtiger und Leugner mitmischen, die den Bericht verwässern wollen, beschreibt mein Gesprächspartner die Prozeduren, die nötig sind, bis ein IPCC-Bericht in die Öffentlichkeit entlassen werden kann. Sie ist kompliziert, langwierig und durchläuft viele Stadien bis zur Veröffentlichung.
Zunächst werden Leit-Autoren, die gewillt sind, mitzuarbeiten, von den Regierungen der Mitgliedsländer nominiert. Diese Autoren arbeiten unentgeltlich, es gibt lediglich einen Forschungsfonds für Entwicklungsländer. Eine finanzielle Abhängigkeit ist somit nicht gegeben. Anschließend werden drei Arbeitsgruppen gebildet, von denen jede etwa 10 bis 20 MitarbeiterInnen hat, die ebenfalls aus den Wissenschaften kommen, also auch Experten sind. Der in Rede stehende 6. Sachstandsbericht betrifft die Arbeitsgruppe I. Sie befasst sich mit den physikalischen, naturwissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels.
Die Themen der der Arbeitsgruppe II sind die Auswirkungen der Klimakrise und Anpassungmaßnahmen., die Arbeitsgruppe III setzt sich mit Möglichkeiten und Maßnahmen zur Eindämmung der Klimakrise auseinander. Aktuell erscheinen die Berichte dieser beiden Arbeitsgruppen 2022.
Aber was passiert vorher?
Nachdem die Autoren feststehen, gibt es gemeinsam mit den Regierungsvertretern das sog. Scoping-Meeting, wo ein allgemeiner Rahmen für die Inhalte erstellt wird. Ebenso erfolgt die Zuordnung der Autorinnen und Autoren zu den verschiedenen Kapiteln. Zwei koordinierende Hauptautoren, im Regelfall einen aus Süden, einen aus Norden, werden ernannt. Dann gibt es noch die Contributing-Authors, die Beiträge schreiben. Sie werden nicht von den Regierungen ernannt.
Nun findet eine Folge von einigen Plenarsitzungen mit Regierungsvertretungen und Wissenschaftlichen Autoren statt, dessen Ergebnisse jeweils im erweiterten Kreis mit Politik und Wissenschaft kommuniziert werden. Es gibt jedes Mal eine Unzahl von Kommentaren dazu, zumal neuerdings auch Stakeholder zugelassen sind, die die Interessen von NGOs, vornehmlich aber Konzerninteressen vertreten. Letztere gehen sehr oft in Richtung Klimaleugnung. Alle diese Kommentare müssen dokumentiert und – unabhängig von ihrer Sinnhaftigkeit - beantwortet werden. Beantwortet in dem Sinne, dass sie entweder akzeptiert und eingearbeitet oder wegen mangelnder wissenschaftlicher Begründung, beziehungsweise wegen Irrelevanz abgelehnt werden.
Diese Prozedur wiederholt sich einige Male. Man kann sich vorstellen, dass hierbei Jahre vergehen. Eine Plenarsitzung besteht aus mehreren hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmern, bestehend aus Abordnungen der Mitgliedsländer. Diese Abordnungen sind aus Politik und Wissenschaft zusammengesetzt.
Abschließend werden die einzelnen Kapitel in einem Synthese-Bericht Satz für Satz verhandelt. Es ist oft ein Ringen um die Deutung und Aussage einzelner Wörter. 2014 standen die Verhandlungen knapp vor dem Abbruch, weil die Kernenergie als klimaschutzrelevante Alternative dargestellt wurde. Österreich war dagegen und es konnte erst eine Einigung erzielt werden, als die Gegnerschaft Österreichs zur Kernenergie in einer Fußnote festgehalten wurde. Für die Kernenergie hatten besonders die USA und die EU – mit Ausnahme Österreichs – plädiert.
'Das Prinzip der Wissenschaft - Zweifeln.Wir sehen: Einfach machen es sich die Beteiligten nicht. Es treffen, besonders seit Vertretungen der Stakeholder zugelassen sind, sich stark widersprechende Interessen aufeinander, die dort und da eine mildere Darstellung von Problemen nach sich ziehen werden. Man kann sich also denken, dass, wenn eine Gefahr als ernst dargestellt wird, sie in Wirklichkeit ganz besonders ernst ist. Jedenfalls steht eines fest: Ernst müssen die Ergebnisse des Berichts auf jeden Fall genommen werden, denn er kommt nach Art der Wissenschaft zustande. Nämlich alles erst streng in großem Kreis zu hinterfragen zu prüfen, bevor es als Tatsache veröffentlicht wird.
Professor Nakicenovic kann sich übrigens nicht vorstellen, dass die Kernenergie bei der Bekämpfung der Klimakrise eine Rolle spielen wird. Auch deshalb, weil es keine Weiterentwicklung gegeben hat. Jetzt ist die Zeit dafür nicht mehr vorhanden. So, wie überhaupt für die Entwicklung technologischer Lösungen die Zeit zu knapp ist.
Auch er bestätigt die Aussage der Wissenschaft: Wir haben keine Zeit mehr.
Die Lösung muss in der Nutzung aller vorhandener erneuerbarer Energieträger liegen. Seiner Meinung nach – und auch da befindet er sich wohl im Einklang mit allen, die mit offenen Augen durchs Leben gehen – muss es rasch eine Systemänderung geben. Vor allem erwähnt er da die Kreislaufwirtschaft. Denn auch die Energiewende kann uns nicht von der Verpflichtung befreien, den Raubbau an den Ressourcen der Erde zu beenden.