„Tiere sind keine
Untertanen: Sie gehören einer anderen Nation an und sind nur durch Zufall mit
uns zugleich ins Netz der Zeit gefallen.“ Henry Beston. Sie hatte keinen
Namen, war nur als Nummer 14 bekannt und gehörte zu den insgesamt vierzehn
Wölfen, die 1995 im Yellowstone National Park wieder angesiedelt wurden – das
Jüngste der Tiere, die Wildbiologen später die Heldin von Yellowstone
nannten. Ihr Leben hatte etwas Geheimnisvolles an sich. Das Delta-Rudel, das
sie und ihr späterer Partner anführten, lebte die meiste Zeit in einem der
entlegensten Gebiete der Vereinigten Staaten, dem schon erwähnten Thorofare,
einem herrlich unberührten, etwa dreißig Kilometer langen Tal in der
südöstlichen Ecke des Parks. Kurz nach ihrer
Freilassung – die ersten sechs Wochen im Nationalpark hatte sie i einem etwa
viertausend Quadratmeter großen Akklimatisierungsgehege verbracht – nahm das
Leben von Nummer 14 eine seltsame Wendung. Auf einem routinemäßigen
Tracking-flug entdeckten Biologen, dass sie kurz vor der Niederkunft stand.
Nur lag ihr Bau ein Stück nördlich vom Nationalpark, in der Nähe des Dorfes
Roscoe im Bundesstaat Montana – und zwar ausgerechnet auf dem Gebiet einer
Rinderranch. Zu ihrem Rudel gehörten zwei weitere erwachsene Tiere und ihr
Partner, ein alter, schon ergrauender Rüde, Nummer 13 dem Biologen den
Spitznamen „Old Blue“ gegeben hatten. Die Wölfe verhielten sich vorbildlich:
Obwohl unentwegt von Rindern umgeben, machten sie kein einziges Mal Jagd auf
Nutzvieh. Die Cowboys auf der Ranch schlossen sie mit der Zeit ins Herz und
schauten ihnen gerne zu, wie sie den Wapitis nachsetzten. Doch manche
Nachbarn sahen das anders. Nachdem bei den Naturschutzbehörden immer wieder
Todesdrohungen gegen Nummer 14 und ihr Rudel eingegangen waren, beschloss
man, die Tiere mitsamt den vier Welpen einzufangen und in eine weniger
kritische Gegend zu bringen. Die Umsiedlung in
den Südosten des Parks war ein Erfolg. Der achtköpfigen Familie ging es schon
bald sehr gut dort, obwohl die Gegend viele Monate von tiefem Schnee bedeckt
ist. In der kalten Jahreszeit sind dort kaum Wapitis zu finden, die dort
lebenden Herden ziehen im Spätherbst in Gegenden mit besseren Bedingungen.
Doch Nummer 14 und Old Blue, die dauerhaft ein Paar blieben, waren hervorragende
Anführer. Es gelang ihnen, mit ihrem Rudel weite Distanzen zu überwinden und
die versteckten Wapitis aufzuspüren. Meist übernahm Nummer 14 die Führung. Ab Sommer 1997 merkte man Old Blue sein hohes Alter immer mehr an. Bei ihren Beobachtungsflügen sahen Biologen, wie schwer es ihm fiel, das Tempo des Rudels zu halten. Wenn es ans Jagen ging, dauerte es ungewöhnlich lange, bis er sich einklinkte. Beim Anlegen der Winterhalsbänder bemerkten Biologen, dass Old Blues Zähne stark abgenutzt waren – bei Wölfen ein sicheres Zeichen für hohes Alter. Jetzt traten am Ende der Jagd andere erwachsene Tiere vor, um das harte Fell der frischen Beute aufzubrechen, doch sie erkannten seinen ranghöheren Status an und ließen ihm beim Fressen den Vortritt. Im Januar schließlich
kamen von Old Blues Halsband stetige, schnelle Signale. Diese Töne zeigen den
Biologen an, dass sich der betreffende Wolf nicht mehr bewegt, unter
Umständen also tot ist. Und die Wissenschaftler lagen richtig mit ihrer
Vermutung: Old Blue lebte nicht mehr. Nach dem Tod
ihres Partners tat Nummer 14 etwas, das kein Wolfsforscher je zuvor erlebt
hatte. Sie verließ das heimatliche Territorium beim Heart Lake ohne ihre
Welpen und halbwüchsigen Jungen. Von der Luft aus konnte man beobachten, wie
sie durch tiefen Schnee Richtung Westen wanderte und dabei derart
unwirtliches Gelände durchquerte, dass keine einzige Spur anderer Tiere zu
sehen war. Teils durch Verfolgung aus der Luft, teils indem man ihre Fährte
aufnahm, machten die Wildbiologen sie schließlich in der Nähe des Pitchstone Plateaus
ausfindig. Dort stand sie ganz allein in dreitausend Metern Höhe auf einem
leeren, windumtosten Hang und spähte nach dem Beobachtungsflugzeug, das über
ihr kreiste. Dann setzte sie ihren Weg fort und wanderte nochmals fünfundzwanzig
Kilometer weiter. Eine Woche später
kehrte sie in ihr Territorium zurück und vereinte sich wieder mit ihrer
Familie. Niemand wollte laut aussprechen, dass Nummer 14 sich offenbar aus
Trauer um ihren Gefährten zurückgezogen hatte. Doch in einem privaten
Gespräch gab ein Biologe später mit gesenkter Stimme zu, er habe sich
gefragt, ob nicht genau das der Fall gewesen sei: Vielleicht war ihr
Verhalten einfach ein Ausdruck tiefen Kummers gewesen – ein Gedanke, den er
seither nicht mehr aus dem Kopf bekommen habe. Aus dem Buch: "Die 8 großen Lehren der Natur" von Gary Ferguson. |
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