28 Juli 2025

Hölderlins Spruch



"Wenn ich die Augen schließe, sieht mich niemand." 

Unsinn? Tja. Viele, die diesen Spruch unsinnig finden, haben nicht verstanden, dass ihre eigenen Einstellungen gewisse Prallelen aufweisen. So zum Beispiel die Überzeugung: Was ich nicht sehe, gibt´s nicht. Besonders oft trifft man diese Einstellung in Bezug auf die Klimakrise an. Die Journalistin Ingrid Brodnig nannte das "anekdotische Beweisführung". Der Juli ist verregnet, also wo bitte ist die Klimaerwärmung?

Eine Kategorie fieser sind Ansichten wie: "was mir nicht schadet, interessiert mich nicht." Allerdings ist eine solche Ansicht nicht nur fies, sondern auch ziemlich dumm, denn vieles, was mir schadet, rieche ich nicht, sehe ich nicht und bin außerdem noch zu einem guten Teil selbst daran schuld.

Brennender Himmel

Ein Klimakiller, den wir nicht sehen und nicht riechen. Weil er sein Unwesen weit weg von uns treibt. Er emittiert weltweit 381 Millionen Tonnen CO2 im Jahr, das ist etwa der Ausstoß von UK, Frankreich oder Italien.
Weltweit gibt es Studien und Berichte über Leukämie und Asthma bei Menschen, die in seiner Nähe wohnen.
Er bringt den Himmel zum brennen. Er treibt sein Unwesen zwar weit weg, verantwortlich dafür sind aber auch europäische Ölkonzerne wie BP, Eni, TotalEnergies und Shell.

Die Rede ist von "Flaring", dem abfackeln von ausströmender brennbarer Gase bei der Erdölgewinnung. Ein untrügliches Zeichen, dass die eingangs erwähnten Charaktereigenschaften auf die Manager der Ölkonzerne und ihre Teams zutreffen. Denn genauso gut könnten diese Gase auch gereinigt, weitergeleitet und verwendet werden. Das allerdings würde Kosten verursachen, die - gemessen an der "Minderwertigkeit" jener, deren Leben man damit schützen würde - viel zu hoch wären. Lesen Sie hier mehr darüber: Klimakrise: Flaring bei Öl- und Gasförderung - Datenanalyse enthüllt Ausmaß des Umweltdesasters - DER SPIEGEL

Windräder.

Sie drehen sich für uns. Für unsere Freiheit, für unsere Lebensqualität für den Erhalt gesunder Ökosysteme und für die Stabilisierung des Klimas. ABER: Sie sind bei uns sichtbar, was ein eindeutiger Grund für die fast fanatische Ablehnung ist. Da bleiben wir lieber bei Benzin, Diesel und Erdgas nicht wahr? Die Jagd auf Methanknollen in den bisher noch unerforschten Tiefen der Ozeane, um Erdgas zu gewinnen mit unbekannten Auswirkungen auf die dortigen Ökosysteme und ebenso unbekannten Folgen für uns, die Fackeltürme im Irak, die Krankheit und Zerstörung für die dortigen Bevölkerungen mit sich bringen, die Abhängigkeit von Autokraten und kriminellen Führern, die Gefährdung unseres Lebens auf diesem Planeten - uninteressant. Siehe ganz oben. 

Wie ich im Profil-Podcast "zur Frage der Nation" am 8.Juli hören konnte, hat der Verbund einige Windkraft-Projekte laufen. Allesamt im Ausland, weil in Österreich jedes derartige Vorhaben mit fast religiösem Eifer verhindert wird.

Psychotische Verwerfungen

Kann man sagen, dass mit unserer Gesellschaft etwas nicht stimmt? Haben uns Demagogie, Narzissmus, Hass und Lügen tatsächlich so weit gebracht, dass wir den Bezug zur Realität verloren haben? Dass wir nicht mehr fähig sind, den Unterschied zwischen Fakt und Fiktion, zwischen wahr und falsch zu erkennen? Ariadne von Schirach schreibt in ihrem Buch "Die psychotische Gesellschaft", dass die beste Voraussetzung für die Durchsetzung totalitärer Herrschaft nicht Nazis oder Rassisten sind, sondern Menschen, für die der Unterschied zwischen wahr und falsch nicht mehr existiert. Sieht es tatsächlich schlecht aus mit uns? Das Hoffen fällt schwer in diesen Tagen, man muss sie aber aufrechterhalten. Sie fahren zu lassen, ist keine Option, denn die Gegenbewegungen existieren und müssen unterstützt werden.

Hölderlins Spruch 

Es gibt Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace, Global 2000, oder Client Earth und viele mehr.  Es gibt Organisationen für Menschenrechte wie SOS-Mitmensch, Amnesty International (AI), Zara, oder Memorial, die russische Menschenrechtsorganisation, in Russland verboten und im Exil weiterarbeitend. In Brasilien die FOIRN, den Dachverband der indigenen Organisationen am Rio Negro. Eine Organisation, die vom Klimabündnis Österreich unterstützt wird. Indigene Völker tragen viel zum Erhalt der Regenwälder des Planeten bei und sind immer wieder Verfolgungen ausgesetzt. Selbstverständlich kann ich hier nicht alle nennen, ihre Anzahl ist weltweit vernetzt und enorm. NGOs vertreten die Rechte der Menschen und der Natur in vielerlei Formen. Als Lobbyist-innen, in Demonstrationen, in Eingaben und oft auch unter Einsatz ihres Lebens wie die erwähnte Memorial. Dazu noch herausragende Einzelpersonen wie Anne Applebaum, die Historikerin und Autorin, die kürzlich den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhielt oder Philipp Blom, ein Historiker und Philosoph. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben ihren Elfenbeinturm längst verlassen und setzen sich intensiv für eine vernünftige, faktenbasierte Klimastrategie der Politik ein. Apropos Politik: Ja, es gibt sie, die Politikerinnen und Politiker, die glaubhaft und konsequent soziale Gerechtigkeit und nachhaltigen Klimaschutz zum Ziel haben. Ich erwähne das Renaturierungsgesetz, das Lieferkettengesetz oder die Waldschutzverordnung, die - mit all ihren Schwächen aufgrund des starken Widerstands rechter und konservativer Politgruppen - durchgesetzt wurden.

Den Bestrebungen von NGOs, Wissenschaft und Politik schließt sich ein maßgeblicher Teil der Zivilgesellschaft an. Jene Unternehmer:innen und Privatpersonen, die schon längst ihre Häuser und Firmengebäude mit regenerativen Energielösungen ausgestattet haben, oder Forschende, die an innovativen Lösungen bezüglich Weiterentwicklung von Batterien oder CO2-Vermeidung und -nutzung  oder an umweltfreundlichen Baumaterialien arbeiten  und vieles mehr sind unverzichtbar geworden.

Also es geht schon voran, zugegebenermaßen allerdings langsam, weil das Bewusstsein für die Klimawirklichkeit noch nicht die nötige Breite hat, aber das wird schon. 

Ich halte es da mit Hölderlin,(ich glaube, er war es), der in einem seiner Gedichte die Worte schrieb:

 "Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch."




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